Das Thema
Eine ganze Reihe von Arbeitsgerichten sind gegenwärtig mit einer interessanten Frage des Betriebsverfassungsrechts in Bezug auf Leitende Angestellte befasst: Wann ist ein Mitarbeiter Leitender Angestellter iSd. § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BetrVG, wenn er über selbständige Einstellungs- und Entlassungsbefugnis im Betrieb verfügt?
Ehrlicherweise muss man sagen, dass wohl nur die wenigsten Arbeitsrechtler damit gerechnet haben, noch einmal mit dieser Frage in der Praxis konfrontiert zu werden. Leitende Angestellte aus dieser Kategorie gelten seit Jahren als eine vom Aussterben bedrohte Art, die auf freier Wildbahn kaum noch anzutreffen ist. Das liegt insbesondere am Tatbestandsmerkmal „selbständig“ im Gesetzestext.
Wer entscheidet schon „selbständig“?
Selbständig handelt, wer im Wesentlichen frei von Weisungen und eigenverantwortlich entscheidet. Dies ist bei den Mitarbeitern der Fall, die bei ihrer Entscheidung nicht von der Zustimmung des Arbeitgebers oder anderer Abteilungen im Unternehmen oder im Betrieb abhängig sind. Man wird es jedoch als unerheblich anzusehen haben, wenn die in der Fachabteilung beschlossene personelle Einzelmaßnahme noch der Unterschrift des Personalleiters bedarf und die darin zum Ausdruck kommende Zustimmung lediglich eine Formalität darstellt, weil die Personalabteilung nicht gegen das Votum der Fachabteilung entscheiden kann. In einem solchen Fall betrifft die Zustimmung der Personalabteilung mehr die Ausführung der Entscheidung denn dessen Findung und Verantwortung durch die Fachabteilung (LAG Hamm 16.02.1977 DB 1978, 400, 402).
Gleichfalls ist es für die Beurteilung als Leitender Angestellter unschädlich, wenn dieser sich bei seiner Entscheidungsfindung an unternehmensseitig vorgegebenen Kriterien orientiert (z.B. Auswahlrichtlinien). Dies muss selbst dann gelten, wenn die Beachtung dieser Kriterien von der Personalabteilung kontrolliert wird. Auch die Vorgabe von Budgets und die Verpflichtung auf die Einhaltung von Personalkostengrenzen sind für die Annahme einer selbständigen Einstellungs- und Entlassungsbefugnis unschädlich.
Ein Blick in die Unternehmenswirklichkeit zeigt schnell, dass schon an dieser Stelle die meisten Statusfeststellungen nach § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BetrVG scheitern. Derart freie Entscheidungsmöglichkeiten bei Einstellungen und Entlassungen haben heute selbst hochkarätige Führungskräfte idR. nicht mehr.
Der jüngste Fall: Betriebsratswahlen bei „Nordsee“ und mehr als 200 neue Leitende Angestellte über Nacht
Trotzdem hat es die Restaurantkette „Nordsee“ geschafft, mehrere Arbeitsgerichte mit betriebsverfassungsrechtlichen Statusfeststellungen dieser Art zu beschäftigen. Konkret geht es darum, dass der Arbeitgeber hier gleich einige Betriebsratswahlen in seinen „Teilregion-Betrieben“, in denen stets mehrere Filialen per Tarifvertrag als Betrieb definiert werden, angefochten hat. Als Anfechtungsgrund wurde jeweils angeführt, dass bei den Wahlen Filialleiter der „Nordsee“ mit gewählt hatten und teilweise sogar in den Betriebsrat gewählt worden sind, die nach Auffassung des Unternehmens über die selbständige Einstellungs- und Entlassungsbefugnis nach § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BetrVG verfügten und daher Leitende Angestellte seien. Wäre diese Auffassung richtig, hätten diese Filialleiter zwar den Sprecherausschuss der Leitenden Angestellten, nicht aber den Betriebsrat wählen dürfen.
Was den Fall sehr speziell macht, ist das Vorgehen des Unternehmens, das unmittelbar vor den diesjährigen Betriebsratswahlen in einem „Hau-Ruck-Verfahren“ 228 Nordsee-Filialleiter zu Leitenden Angestellten machen wollte, die teilweise schon über Jahre hinweg als nichtleitende Mitarbeiter geführt und behandelt wurden und regelmäßig auch bei den Betriebsratswahlen mit gewählt hatten und in einigen Fällen schon seit Jahren Betriebsratsmitglieder waren. Dazu erhielten diese Filialleiter schriftlich eine geänderte Stellenbeschreibung zusammen mit einer Personalvollmacht, in der die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis für die jeweilige Filiale benannt war. Die Arbeitsverträge der Filialleiter schlossen dagegen eine solche Personalvollmacht ausdrücklich aus. Einige, aber eben nicht alle, Filialleiter haben sich mit dieser Änderung schriftlich einverstanden erklärt.
Wahlanfechtung vor den Arbeitsgerichten gescheitert
Bislang sind insgesamt 11 Wahlanfechtungsverfahren bei den Arbeitsgerichten anhängig, von denen erstinstanzlich drei entschieden sind. Die Arbeitsgerichte Neumünster (Az. 3BV3a/18), Oberhausen (Az. 4BV10/18) und Dortmund (Az. 8BV16/18) haben die Wahlanfechtungsanträge des Unternehmens als unbegründet zurückgewiesen.
Für die Arbeitsrichter waren dabei zwei Gesichtspunkte tragend. Zum einen war schon zweifelhaft, ob überhaupt die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis arbeitsrechtlich wirksam übertragen worden ist. Da die Arbeitsverträge die Einstellung- und Entlassungsbefugnis ausdrücklich ausgeschlossen haben und zudem Schriftform vorsehen, ist in der Tat fraglich, ob der Arbeitgeber durch schlichte Mitteilung der erweiterten Personalvollmacht den Arbeitsvertrag einseitig ändern konnte. Ob möglicherweise ein weitgehender Änderungsvorbehalt Bestandteil der Arbeitsverträge ist, darf angesichts der Entscheidungsgründe bezweifelt werden. Auch der Arbeitgeber ging wohl eher nicht davon aus, da er das schriftliche Einverständnis zur Änderung erwartete. Schon daran würde also hier der Status Leitender Angestellter scheitern.
Verantwortung für eng begrenzten Personenkreis genügt nicht
Aber auch an den weiteren Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BetrVG hatten die Arbeitsgerichte erhebliche Zweifel. Die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis braucht sich zwar nicht auf alle betriebsangehörigen Arbeitnehmer zu beziehen. Es ist daher unschädlich, wenn einzelne Arbeitnehmergruppen (z.B. alle AT-Angestellten) aus dem Zuständigkeitsbereich herausgenommen sind. Jedoch fordert das Bundesarbeitsgericht, dass die Befugnis bestehen muss, über die Einstellung und Entlassung einer bedeutenden Zahl von Arbeitnehmern des Betriebes entscheiden zu können (BAG 11.03.1982 AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 28). Die Entscheidungsbefugnis und Verantwortung für einen nur eng begrenzten Personenkreis genügt mithin nicht.
In der übertragenen Aufgabe muss sich somit die spezifische Arbeitgeberfunktion nachhaltig widerspiegeln. Allerdings wird man in Ergänzung der genannten Rechtsprechung die Voraussetzung des § 5 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG auch dann annehmen können, wenn die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis nur für einen begrenzten Personenkreis besteht, es hierbei aber um hochqualifizierte Spezialisten geht, deren Mitarbeit für das Unternehmen von besonderer Bedeutung ist. Das quantitative Element wird in diesem Fall durch die Qualität der Entscheidungsbefugnis überlagert (BAG 10.10.2007 AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 72; BAG 16.04.2002 AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 69).
Im Nordsee-Fall war der Betrieb per Tarifvertrag aus mehreren Filialen einer Teilregion zusammengesetzt. Die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis sollte sich aber stets nur auf die einzelne Filiale und damit nur auf einen Teil des Betriebs beziehen. Von einer „bedeutenden Zahl von Arbeitnehmern“ oder von hochqualifizierten Spezialisten im Sinne der BAG-Rechtsprechung konnte daher weder in Bezug auf den Betrieb noch auf das Unternehmen gesprochen werden. Selbst wenn man annimmt, dass im Falle der Systemgastronomie wie bei Nordsee, die Filialstruktur die maßgebende Geschäftsidee ist, reicht es doch noch nicht, um von einer unternehmerischen Teilaufgabe zu sprechen, wenn nur in einer von insgesamt 370 Filialen selbständig eingestellt und entlassen werden darf.
Von daher ist es nachvollziehbar, dass die Wahlanfechtungen gescheitert sind.
Leitende Angestellte vom Aussterben bedroht?
Insgesamt bleibt natürlich ein gewisser Beigeschmack zurück, wenn man sich das Vorgehen des Unternehmens anschaut. Warum hat man den unsicheren Weg über § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BetrVG gewählt? Die Erteilung einer Prokura im Sinne von § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 BetrVG wäre vermutlich der leichtere Weg gewesen, wenn es nur darum gegangen wäre, die Filialleiter zu Leitenden Angestellten zu machen. Bei der Übertragung von Einstellungs- und Entlassungsbefugnis denkt man aber sofort auch an § 14 KSchG und die Möglichkeit, sich auch bei sozial ungerechtfertigter Kündigung mittels Auflösungsantrag und Abfindungszahlung von solchen leitenden Mitarbeitern zu trennen.
im Übrigen: Es soll auch Fälle geben, in denen Arbeitgeber erklären, man habe viel zu viel Leitende Angestellte. Deshalb entscheidet man oft auch über Nacht, die Zahl der Mitarbeiter mit Leitendenstatus zu verringern; und zwar im Rahmen einer nicht angreifbaren Arbeitgeberentscheidung. Auch dieses Vorgehensweise gilt als wahrer Dauerbrenner unter den Mythen des Arbeitsrecht.
Ob das tatsächlich der Hintergedanke war, mag dahinstehen. Fatal ist jedenfalls, dass diese Befürchtung bei den Betroffenen und den Betriebsräten entstehen konnte. Für die jetzt angebrochene Amtsperiode der Betriebsräte muss es für das Unternehmen nun vor allem darum gehen, verlorengegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat ist und bleibt ein Kerngedanke des Betriebsverfassungsrechts.
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