Das Thema
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Frage, ob die Antragstellerin von der Antragsgegnerin verlangen kann, es zu unterlassen, Arbeitskräfte der Antragstellerin abzuwerben.
Die Antragstellerin erbrachte seit 2012 für die Antragsgegnerin auf Basis eines Rahmenvertrages umfangreich Call-Center-Dienstleistungen. Dieser Rahmenvertrag enthielt in § 27 unter anderem die folgende Regelung: „Beide Parteien verpflichten sich, keinen derzeitigen Mitarbeiter oder eine sonst vertraglich verpflichtete Person des anderen Vertragspartners mittelbar oder unmittelbar abzuwerben, sofern diese mit Leistungen aus diesem Vertrag oder einem der Vertragsteile betraut ist.“.
Am 24.11.2020 kontaktierte eine Mitarbeiterin der Antragsgegnerin während der bestehenden Vertragsbeziehungen einen Mitarbeiter der Antragstellerin in Berlin per Telefon und erkundigte sich, ob dieser Interesse an einer Anstellung bei der Antragsgegnerin habe. In der Folge wurden noch weitere Mitarbeiter der Antragstellerin wegen eines möglichen Einstiegs bei der Antragsgegnerin kontaktiert. Hiervon erlangte der Geschäftsführer der Antragstellerin am 11.12.2020 Kenntnis. Daraufhin kontaktierte er die Antragsgegnerin. Diese sicherte zunächst zu, dafür zu sorgen, dass weitere Abwerbeversuche künftig unterbleiben werden. Es kam allerdings zu weiteren Kontaktaufnahmen. Die Antragstellerin ließ die Antragsgegnerin anwaltlich abmahnen. Ohne Erfolg. Das Landgericht Köln hatte der Antragsgegnerin auf Antrag der Antragstellerin durch einstweilige Verfügung unter anderen untersagt, für die Dauer des Bestehens des zwischen den Parteien geschlossenen Rahmenvertrags Mitarbeiter der Antragstellerin zum Zwecke der unmittelbaren oder mittelbaren Abwerbung anzurufen oder anrufen zu lassen. Hiergegen wandte sich die Antragsgegnerin mit ihrer Berufung vor dem OLG Köln.
Die Entscheidung des Gerichts
Mit Urteil vom 03. 09.2021 (6 U 81/21) hat das OLG Köln die einstweilige Verfügung des Landgerichts aufgehoben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Der der Verfügungsanspruch ergebe sich weder aus Vertrag noch aus dem Wettbewerbsrecht. Zwar habe die Antragsgegnerin gegen die vertragliche Abrede des Rahmenvertrages verstoßen, indem sie mehreren Mitarbeitern der Antragstellerin angeboten hatte, unmittelbar für die Antragsgegnerin tätig zu werden. Wegen § 75f HGB könne die Antragstellerin den Unterlassungsanspruch jedoch nicht gerichtlich geltend machen. Die Vorschrift des § 75f HGB schließe nicht nur die Klagbarkeit von Einstellungsverboten, sondern auch von Vereinbarungen zwischen Unternehmen aus, keine Arbeitskräfte des Vertragspartners abzuwerben. Nach §§ 74 ff. HGB sollen den Interessen des Arbeitnehmers an seinem beruflichen Fortkommen nach dem Ende des Anstellungsverhältnisses gegenüber dem Interesse des Unternehmers, sich durch Wettbewerbsverbote vor einer Abwanderung seines Personals zu Konkurrenzunternehmen zu schützen, grundsätzlich der Vorrang eingeräumt werden. Zwar gebe es besondere Fallkonstellationen, in denen ein die Belange der betroffenen Arbeitnehmer überwiegendes Interesse der Arbeitgeberseite an einer gerichtlichen Durchsetzbarkeit bestehe. Eine besondere Fallkonstellation könne dann vorliegen, wenn das Verhalten des abwerbenden Arbeitgebers eine unlautere geschäftliche Handlung darstellt, deren Verbot nach den Vorschriften des UWG beansprucht werden könne. Als weitere besondere Fallkonstellation stellten solche Vereinbarungen dar, bei denen das Abwerbeverbot nicht Hauptzweck sei, sondern bei denen es nur eine Nebenbestimmung darstelle, die einem besonderen Vertrauensverhältnis der Parteien oder einer besonderen Schutzbedürftigkeit einer der beiden Vertragspartner Rechnung trage. Diene ein Abwerbeverbot dem Schutz vor illoyaler Ausnutzung von Erkenntnissen, die im Rahmen solcher Vertragsverhältnisse und ihrer Abwicklung gewonnen worden sind, bestehe kein Grund, die gerichtliche Durchsetzbarkeit zu versagen.
Eine solche besondere Fallkonstellation könne im vorliegenden Fall nicht angenommen werden, so die Richter des OLG. Das Abwerbeverbot diene hier nicht dazu einen Wissenstransfer zu verhindern, denn die Parteien hatten vereinbart, dass sämtliches Know-how, das während der Zusammenarbeit entsteht, ohnehin auf die Antragsgegnerin übergehen sollte. Zudem berücksichtige das OLG im Rahmen seiner Interessenabwägung, dass zwischen den Parteien kein Konkurrenzverhältnis auf dem gleichen Absatzmarkt bestand. Denn die Antragstellerin erbrachte Serviceleistungen für die Antragsgegnerin, welche die Antragsgegnerin künftig eigenständig erbringen wollte.
Auswirkungen der Entscheidung für die Praxis
Unternehmen, die verhindern wollen, dass Mitarbeiter zu langjährigen Geschäftspartnern oder zu Wettbewerbern wechseln, haben grundsätzlich wenig effektive Möglichkeiten. Das OLG Köln legt mit seiner Entscheidung den Finger in die Wunde vertraglicher Abwerbeverbote mit Geschäftspartnern. Diese mögen zwar rechtlich wirksam sein und das Abwerben tatsächlich verhindern. Immerhin bleibt ja das Risiko, dass ein Vertragspartner bei einem Verstoß gegen das vertragliche Verbot vom Vertrag zurücktritt, was Grund genug sein kann, das Verbot zu beachten. Hält sich allerdings ein Vertragspartner nicht an das Verbot, hängt die gerichtliche Durchsetzbarkeit des Abwerbeverbots davon ab, ob im Einzelfall eine der vom OLG Köln unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 30.04.2014 – I ZR 245/12) genannten Ausnahmekonstellationen vorliegt.
An eine solche Ausnahmekonstellation sollte man auch und insbesondere dann denken, wenn es um Unternehmenstransaktionen geht. Im Rahmen der begleitenden Due-Diligence-Prüfungen entsteht ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den beteiligten Unternehmen. Offenbart in diesem Zusammenhang ein Unternehmen dem anderen seine sensiblen Mitarbeiterdaten, hat dieses Unternehmen ein schutzwürdiges Interesse daran, dass diese Mitarbeiter nicht vom Kaufinteressent abgeworben werden. In dieser Konstellation ist es also gerechtfertigt, abweichend von § 75f HGB das Abwerbeverbot gerichtlich durchsetzen zu können, so auch das OLG Köln in seinem Urteil.
Liegt eine solche Sonderkonstellation nicht vor, bleibt nur der Versuch, eine Abwanderung der eigenen Mitarbeiter zu verhindern. Wie das Urteil des OLG Köln zeigt, kann man sich auf die beiderseitige Einhaltung des Abwerbeverbots nicht verlassen. Das OLG Köln zeigt einen Lösungsweg auf: „Die Antragstellerin hätte sich gegen eine Abwerbung mit vertraglichen Vereinbarungen mit ihren Arbeitnehmern (…) schützen können.“. Wer also ein effektives Mittel gegen eine Mitarbeiterabwanderung haben möchte, muss bereit sein, die vorgesehene Karenzentschädigung zu zahlen. Anderenfalls droht der Verlust wertvoller Mitarbeiter und des Prozesses, weil ein vertraglich vereinbartes Abwerbeverbot gegenüber Geschäftspartnern nicht durchgesetzt werden kann.