Das Thema
In jüngster Zeit hat sich der erste Senat des obersten deutschen Arbeitsgerichts vermehrt mit den Rechten des Betriebsrats im Zusammenhang mit Bruttoentgeltlisten beschäftigt. Die Beschlüsse vom 29.9.2020 (1 ABR 32/19) sowie vom 23.3.2021 (1 ABR 7/20) verdienen insoweit besondere Beachtung, als das BAG darin klarstellt, dass die Arbeitnehmervertreter vom Arbeitgeber weder dauerhaft noch vorübergehend zum Zwecke der Erstellung von Abschriften die Überlassung von Bruttoentgeltlisten verlangen können.
Damit der Betriebsrat seine entgelttransparenz- und betriebsverfassungsgesetzlichen Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen kann, enthalten das BetrVG sowie das EntgTranspG unterschiedliche Anspruchsgrundlagen, die sich aufgrund ihrer divergierenden Zweckrichtungen sowohl in ihrem Anwendungsbereich als auch ihrem jeweiligen Umfang zum Teil deutlich unterscheiden und sich gleichzeitig gegenseitig bedingen. Die Rechte des Betriebsrats im Zusammenhang mit Bruttoentgeltlisten variieren zwischen Einblick, Einsicht und Auswertung.
Die Rechte des Betriebsrats aus § 80 Abs. 2 BetrVG
Nach der – zunächst recht weit gefassten – Vorschrift des § 80 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz BetrVG sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Zweck ist nach dem 2. Halbsatz der Vorschrift der Betriebsausschuss oder ein nach § 28 BetrVG gebildeter Ausschuss berechtigt, Einblick in die – tatsächlich existenten und im Besitz des Arbeitgebers befindlichen – Listen über die Bruttolöhne und ‑gehälter zu nehmen. Dieser zweite Halbsatz enthält also gleich zwei Einschränkungen: Das Recht in Bezug auf Entgeltlisten ist beschränkt auf die Einblicknahme und hinsichtlich des Adressatenkreises auf den Betriebsausschuss. Zudem besteht das Einblicksrecht nur, soweit dies zur Durchführung von Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist. Dabei muss dieser, verweist er auf seine Überwachungsaufgabe, regelmäßig kein besonderes Überwachungsbedürfnis darlegen. Ebenso kann ein Verweis auf die Prüfung der Wahrnehmung eines Mitbestimmungsrechts ausreichend sein. Stützt er sein Einblicksverlangen dagegen auf seine Aufgabe zur Förderung der Durchsetzung der Entgeltgleichheit nach § 80 Abs. 1 Nr. 2a BetrVG, bedarf dies näherer Begründung. Ein allgemeiner Hinweis auf die gesetzlichen Aufgaben und die bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts erfüllen diese Anforderungen in der Regel nicht. Der Betriebsrat muss vielmehr darlegen, für welche konkreten Förderungsmaßnahmen er bestimmte Auskünfte benötigt.
Ferner unterliegt der grundsätzlich weite Auskunftsanspruch des Betriebsrats aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nach der Rechtsprechung des BAG im Bereich der Löhne und Gehälter mit Blick auf die enge Formulierung von § 80 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BetrVG zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen einer teleologischen Reduktion. Kommt eine aus Sachgründen erforderliche schriftliche Auskunft im Bereich der Löhne und Gehälter inhaltlich einer Bruttolohn- und -gehaltsliste gleich, genügt nach dem BAG der Arbeitgeber dem Auskunftsanspruch des Betriebsrats nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG schon dadurch, dass er dem zuständigen Ausschuss, gegebenenfalls dem Vorsitzenden des Betriebsrats, nach Maßgabe von § 80 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BetrVG Einblick in die schriftlich gefassten Angaben ermöglicht.
Die Rechte des Betriebsrats aus § 13 EntgTranspG
Daneben enthält das EntgTranspG unterschiedliche Bestimmungen, mit denen das dem Betriebsrat bereits nach Maßgabe des BetrVG zustehende Einsichtsrecht in Entgeltlisten zum Zwecke der Förderung der Durchsetzung der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern im Betrieb ergänzt, erweitert bzw. angepasst wird. Da die Zielsetzungen des BetrVG einerseits und des EntgTranspG andererseits divergieren, unterscheiden sich folglich auch in Inhalt und Reichweite der dem Betriebsrat jeweils vermittelten Befugnisse. Obwohl sich dies nicht ohne Weiteres aus der Lektüre des § 13 EntgTranspG ergibt, knüpfen die darin beschriebenen Rechte des Betriebsrats an dessen Zuständigkeit für die Beantwortung individueller Auskunftsverlangen nach § 10 Abs. 1 EntgTranspG an und setzen damit zudem zwingend voraus, dass ein solches überhaupt an den Betriebsrat gerichtet worden ist.
Daneben stellt § 13 Abs. 3 Satz 2 EntgTranspG, wonach der Arbeitgeber Entgeltlisten in besonderer Weise aufzubereiten hat, eine Erweiterung sowohl der Rechte aus § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG als auch der Einblicks- und Auswertungsrechte aus § 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG insoweit dar, als der Betriebsrat auch die Herstellung bislang nicht existenter Listen verlangen kann. Die nach Geschlecht aufgeschlüsselten und alle Entgeltbestandteile enthaltenden Entgeltlisten können sodann vom Betriebsausschuss bzw. einem von diesem entsprechend beauftragten Ausschuss im Rahmen seines Einblicksrechts eingesehen und ausgewertet werden.
Kein Anspruch auf Überlassung von Entgeltlisten
Dagegen vermitteln weder die Vorschriften des BetrVG noch des EntgTranspG dem Betriebsrat einen Anspruch auf Überlassung von Bruttoentgeltlisten – auch nicht vorübergehend zum Zwecke der Anfertigung von Abschriften. Dies hat das BAG in seinen Entscheidungen vom 29.9.2020 (1 ABR 32/19) und 23.3.2021 (1 ABR 7/20) ausdrücklich klargestellt.
Der Beschluss des BAG vom 29.9.2020
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall verlangte der antragstellende Betriebsrat die Überlassung von Bruttoentgeltlisten für einen bereits bei Antragstellung zurückliegenden Zeitraum in elektronischer Form, hilfsweise Papierform, und äußerst hilfsweise für die Dauer der Anfertigung von Kopien bzw. Abschriften. Sein Begehren stützte er vorrangig auf § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG, dessen 2. Halbsatz seiner Auffassung nach den im 1. Halbsatz enthaltenen Überlassungsanspruch konkretisiere. Das Gremium vertrat weiter die Ansicht, der von ihm geltend gemachte Überlassungsanspruch folge daneben auch aus § 13 EntgTranspG sowie dem Rechtsgedanken des § 7 Abs. 4 Informationsfreiheitsgesetz (IFG) und unionsrechtlichen Erwägungen.
In keiner der drei befassten Instanzen konnte die Arbeitnehmervertretung mit ihrer Auffassung durchdringen. Das BAG entschied, dem Betriebsrat stehe unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die von ihm verlangte dauerhafte Überlassung der Bruttoentgeltlisten an den Betriebsausschuss zu – und zwar weder in Papierform noch in elektronischer Form. Er habe schon nicht hinreichend dargelegt, für welche Überwachungs- oder Förderungsaufgabe oder Geltendmachung eines Mitbestimmungsrechts er die Auflistung der Entgeltdaten – eines noch dazu in der Vergangenheit liegenden Zeitraums – benötige. Obwohl es das geltend gemachte Begehren des Betriebsrats bereits mit dieser Begründung abschließend hätte abweisen können, stellte das BAG zusätzlich klar, dass auch bei unterstelltem Aufgabenbezug aus § 80 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BetrVG, der in Abgrenzung zum 1. Halbsatz der Vorschrift zu lesen sei, kein Recht auf die Zurverfügungstellung der in Bezug genommenen Entgeltlisten folge. Dies gebe schon der klare Normwortlaut („Einblick“) vor, der damit verfassungs- und datenschutzrechtlichen Anforderungen Rechnung trage.
Auch mit Blick auf einen möglichen Anspruch aus § 13 Abs. 2 Satz 1 oder § 13 Abs. 3 EntgTranspG machte das BAG mehr Ausführungen als im konkreten Fall erforderlich gewesen wären. Anders als noch in seinem Beschluss vom 28.7.2020 (1 ABR 6/19) ließ der Senat die Frage, ob von § 13 Abs. 2 Satz 1 oder Abs. 3 EntgTranspG ein Anspruch auf die Übergabe von Bruttoentgeltlisten umfasst sei, nicht offen. Auch dieses Begehren des Betriebsrats hätte er unter Verweis auf dessen fehlende Zuständigkeit für die Beantwortung individueller Auskunftsverlangen nach § 10 EntgTranspG sowie dem vergangenheitsbezogenen Leistungsgegenstand kurz und knapp ablehnen können. Gleichwohl sah der Senat sich dazu veranlasst, umfangreiche Ausführungen zum Wortlaut, der Gesetzessystematik sowie der Entstehungsgeschichte der Normen zu machen, woraus sich im Ergebnis eindeutig ergebe, dass weder die Einsichts- und Auswertungsrechte des § 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG noch das Einblicksrecht nach § 13 Abs. 3 EntgTranspG einen Anspruch auf die dauerhafte Überlassung von Entgeltlisten begründeten. Es sei dem Betriebsrat auch ohne eine physische Aushändigung der Listen möglich, seine Aufgaben nach dem EntgTranspG ordnungsgemäß zu erfüllen. Das IFG sowie unionsrechtliche Erwägungen – soweit auf den in Rede stehenden Fall anwendbar – führten zu keiner anderen Bewertung. Den Antrag auf eine zweckgebundene zeitweilige Listenüberlassung lehnte der Senat dagegen relativ schmallippig unter Verweis auf den Vergangenheitsbezug des Leistungsgegenstands ab und ließ somit eine Hintertür wenigstens einen spaltbreit offen.
Der Beschluss des BAG vom 23.3.2021
Diese Tür schloss der Senat sodann nur ein halbes Jahr später, als er am Ende seines Beschlusses vom März 2021 das hilfsweise vom Betriebsrat geltend gemachte Recht auf „Einsicht“ unter Einsatz besonders geeigneten Büropersonals zum Zwecke der Fertigung von Abschriften ablehnte. Dieses Verlangen war Teil eines auf einen umfassenden Hauptantrag und unzählige, teils mehrmals abgestufte Hilfsanträge verteilte Begehren des Betriebsrats eines von zwei Arbeitgeberinnen gebildeten Gemeinschaftsbetriebs. Während die Arbeitgeberinnen die Einblicksrechte anerkannten, lehnten sie die vom Gremium verlangte Zuleitung von aufbereiteten Datenbeständen zum Entgelt ab. Die Anträge reichten von der verlangten Zuleitung einer Datei in einem auswertbaren Tabellenformat über deren Vorlage in gedruckter, aber elektronisch umwandelbarer Papierform (OCR) bis hin zur Einsichtnahme bei gleichzeitiger Zurverfügungstellung von Büropersonal zwecks Abschrift der Listen.
Auch in diesem Beschlussverfahren unterlag der antragstellende Betriebsrat in jeder der drei Instanzen vollumfänglich. Soweit er von beiden den Gemeinschaftsbetrieb führenden Arbeitgeberinnen die Zuleitung der näher bezeichneten Dateien verlange, sei sein Begehren bereits deswegen abzulehnen, so das BAG, weil es sich bei Entgeltdaten um Angaben mit unmittelbarem Bezug zum Arbeitsvertrag handele. Eine darauf bezogene Auskunft könne von vornherein nur vom jeweiligen Vertragspartner verlangt werden – und auch nur im Rahmen der Anspruchsgrenzen. Einen Anspruch auf Zuleitung von Entgeltdaten im Sinne einer nicht nur vorübergehenden Überlassung vermittelten jedoch weder das BetrVG noch das EntgTranspG. Auch im Fall des dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts scheitere ein Anspruch des Betriebsrats aus § 13 EntgTranspG aber bereits daran, dass der Betriebsrat sich nicht auf ein konkretes, von ihm zu beantwortendes Auskunftsverlangen berufen konnte. Aus diesem Grund konnte das BAG die Frage, ob von der in § 13 Abs. 3 Satz 3 EntgTranspG formulierten Aufbereitungsverpflichtung des Arbeitgebers auch der Einblick in eine Datei in dem verlangten auswertbaren Tabellenformat umfasst ist, offenlassen. Mit Blick auf die unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen des § 80 Abs. 2 BetrVG bestätigte der Senat seine bisherige Rechtsprechung und stellte insbesondere nochmals klar, dass im Entgeltbereich der Anspruch des § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen teleologisch zu reduzieren sei und das Vorlagerecht aus § 80 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz BetrVG nicht weitergehe als der Informationsanspruch nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG.
Soweit der Betriebsrat hilfsweise verlangte, dem Betriebsausschuss Einblick in die im Hauptantrag genannten Dateien zu gewähren und zusätzlich geeignetes Büropersonal zum Abschreiben der Listen zur Verfügung zu stellen, lehnte der Senat auch dieses Begehren ab. Aus der Gesamtschau (die Arbeitgeberinnen hatten das Einblicksrecht anerkannt) sei ersichtlich, dass es dem Betriebsrat nicht lediglich auf die Einsichtnahme ankomme, sondern er auch mit diesem Antrag die nicht nur vorübergehende Überlassung der Listen verlange. Denn die Erstellung von umfassenden Abschriften führe im Ergebnis zu nichts anderem als einer – dauerhaften – Überlassung der Daten, die der Betriebsrat jedoch nicht verlangen könne.
Zwei Antworten – eine Frage: Wie umfangreich ist die Aufbereitungspflicht des Arbeitgebers aus § 13 Abs. 3 Satz 2 EntgTranspG?
Nicht nur aus Beratersicht sind beide Beschlüsse zu begrüßen, als jeder für sich einen Beitrag zu mehr Rechtssicherheit in diesem Bereich leistet. Mit seiner Entscheidung vom September 2020 stellte der Senat klar, dass auch das EntgTranspG – ebenso wie das BetrVG – kein Recht des Betriebsrats auf dauerhafte Überlassung von Entgeltlisten an ihn oder den Betriebsausschuss begründet und beendete damit eine seit Inkrafttreten des EntgTranspG geführte Debatte. Während die Entscheidung vom 29.9.2020 also diesbezüglich Klarheit schaffte, ließ sie die Frage nach dem Anspruch auf zeitweilige Listenüberlassung zum Zwecke der Anfertigung von Kopien offen. Nur wenige Monate später erhielt der Erste Senat die Gelegenheit, die Antwort auf seine Frage selbst zu liefern. Sie ist ebenso konsequent wie richtig: Selbst, wenn die Überlassung lediglich vorübergehend für die Dauer der Erstellung von Abschriften erfolgt, führt dies im Ergebnis zu einem dauerhaften Besitz des Betriebsrats bzw. Betriebsausschusses an den entgeltbezogenen Daten wie es auch eine – vom Gesetz gerade nicht vorgesehene – Überlassung der Originale zur Folge hätte. Damit würde jedoch die Intention des Gesetzgebers, die sensiblen Daten über die Bruttoentgelte nicht zuletzt zum Schutze der genannten Beschäftigten lediglich einem eingeschränkten Personenkreis zugänglich zu machen, umgangen.
Doch auch diese Entscheidung des BAG liefert nicht nur Antworten, sondern wirft neue Fragen auf: Aufgrund der fehlenden Zuständigkeit des Betriebsrats für die Beantwortung individueller Auskunftsverlangen konnte der Senat es unentschieden lassen, ob aus den kollektiv-entgelttransparenzrechtlichen Ansprüchen, hier insbesondere der in § 13 Abs. 3 EntgTranspG verankerten Aufbereitungspflicht, (auch) folgt, dass im Rahmen des Einblicksrechts eine Datei in einem auswertbaren Tabellenformat verlangt werden kann. Die nächste Entscheidung des BAG zu den Rechten des Betriebsrats im Zusammenhang mit Entgeltlisten lässt vermutlich nicht allzu lange auf sich warten.
Anm. d. Red.: Vgl. zu diesen Themen auch die #EFAR-Beiträge
- Einsicht des Betriebsrats in Gehaltslisten und der Datenschutz: Wie geht es weiter?
- Betriebsbegriff Fehlanzeige: Der Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz in Filialstrukturen
- Mitarbeiterdaten: Setzt der Datenschutz dem Auskunftsanspruch des Betriebsrats Grenzen?
- Betriebsrat als eigener Verantwortlicher im Sinne der DSGVO: Aktuelle Rechtsprechung
- BAG setzt allgemeinen Auskunftsanspruch des Betriebsrats Grenzen
- Dauerhafter Zugriff des Betriebsrats auf elektronische Personalakten?
- Online-Bewerbung: Betriebsrat muss volle Einsicht in Tools und Prozesse erhalten
- Erfüllen Zugriffsrechte auf HCM-Systeme die Informations- und Unterrichtungspflichten nach dem BetrVG?
- Betriebsrat kann (ungeschwärzte) Vorlage individueller Zielvereinbarung verlangen